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"Aus der Schule geplaudert"

Über das gerade jetzt am Ende des Schuljahres wieder aktuelle Aufsteigen mit einem Nicht genügend, worüber die LehrerInnen bei der Konferenz entscheiden, gibt es schon seit vielen Jahren eine Diskussion. Manche LehrerInnen lehnen das überhaupt ab und finden, dass der/die KandidatIn mit einer negativen Note auf keinen Fall aufsteigen soll. Andere finden, dass Aufsteigen mit einem Nicht genügend generell möglich sein sollte, ohne dass darüber abgestimmt werden muss. Eine dritte Lösung, wie sie vielfach in Deutschland praktiziert wird, wäre, nur mit Kompensationsnoten (in einem Schularbeitsfach 5, im anderen 3 oder 2 oder 1) aufsteigen zu können; Nachprüfungen gibt es in den meisten deutschen Bundesländern schon lange nicht mehr.

Die Abstimmungen, wie sie bei uns praktiziert werden, sind jedenfalls problematisch. Die LehrerInnen, in deren Fach der/die betreffende SchülerIn Genügend hat, haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie müssen nämlich sagen, ob das Genügend in ihrem Fach ein "sicheres Genügend" sei oder nicht. Aber da beginnt das Problem schon, denn diese Frage ist nicht in allen Fällen eindeutig zu beantworten und hängt nicht nur mit der Leistung des Schülers/der Schülerin, sondern auch mit der grundsätzlichen Einstellung des Lehrers/der Lehrerin zusammen. Und da gibt es ein gruppendynamisches Phänomen, das einer eigenen Untersuchung wert wäre: Es ist oft viel leichter, die LehrerInnen für eine negative Stellungnahme zu gewinnen als für eine positive, und das nicht nur bei der Frage des Aufsteigens mit einem Nicht genügend. Damit verbunden sind oft erstaunlich sichere LehrerInnenaussagen bezüglich der Intelligenz und der schulischen Zukunft der SchülerInnen, gefolgt von der Feststellung, wie viel besser früher alles gewesen sei. Ich hatte auch den Eindruck, dass manche LehrerInnen fast Angst davor haben, positive Stellungnahmen abzugeben, und glauben, dass sie durch negative Äußerungen über Leistungen der SchülerInnen besser zeigen können, welche Ansprüche bzw. welches hohe Niveau sie vertreten. Es wird teilweise sogar als unkollegialer Akt angesehen, wenn es ein Lehrer/eine Lehrerin wagt, sich in der angespannten Atmosphäre einer Klassenkonferenz für einen Schüler/eine Schülerin einzusetzen, sei es wegen des Aufsteigens mit einem Nicht genügend oder einer anderen Angelegenheit. Ein Erlebnis der besonderen Art ist es dann, wenn nach einer solchen Klassenkonferenz vereinzelt LehrerInnen zu dem Lehrer/dieser Lehrerin kommen, der/die "gegen den Strom geschwommen" ist, und ihm/ihr zuflüstern, dass sie seine/ihre Stellungnahme gut gefunden hätten; sie selbst haben aber die ganze Zeit über geschwiegen. Es gehört also noch immer Mut dazu, sich diesem merkwürdigen Zug zur negativen Beurteilung entgegenzustellen.

Natürlich hängt dieses Phänomen mit weltanschaulichen und politischen Standpunkten, dem Menschenbild und dem pädagogischen Konzept zusammen, die ein/e LehrerIn vertritt. Weiterbildung, Supervision, Selbsterfahrung, die den LehrerInnen auch angeboten werden, können da Veränderungen bewirken. Aber gerade heutzutage stehen besonders die jungen LehrerInnen wieder sehr unter Druck und müssen sich "nach der Decke ihrer Schule strecken", wenn sie ihre Stelle behalten wollen. Je nach ideeller Ausrichtung der Schule ist es günstig oder ungünstig, sich als LehrerIn auf einen Veränderungsprozess einzulassen, das Unterrichten als Dialog zu betrachten, kreative Unterrichtsformen zu wagen, die SchülerInnen nicht durch schnell gefällte Urteile auf etwas festzulegen und sich gegen die Meinung etablierter LehrerInnen für Aufsteigen mit einem Nicht genügend einzusetzen.

Auf diesem vielfältigen Hintergrund wird deutlich, dass eine Änderung der derzeit üblichen Handhabung der Aufstiegsklausel dringend nötig ist. Die Eltern von SchülerInnen können, wenn die Klassenkonferenz für Nicht-Aufsteigen mit einem Nicht genügend entschieden hat, dagegen binnen fünf Tagen Berufung beim Stadtschulrat einlegen. Erfreulicherweise gibt es bei uns bereits Versuchs-Oberstufenformen mit Modulcharakter, bei denen sich solche Abstimmungen weitgehend erübrigen. Für die Regelschule wäre eine Übernahme des deutschen Modells (s.o.) zu überlegen oder das Aufsteigen mit einem Nicht genügend generell zu erlauben.

Lore Brandl-Berger


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