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Wer darf unser Gast sein?


von Lore Brandl-Berger

Anfang Oktober erreichte mich der Anruf einer Freundin namens Elisabeth, die wegen eines Ereignisses, das sich im Ekazent Hietzing zugetragen hatte, sehr verärgert war. Was war geschehen? Sie berichtete, dass ihr in der Nähe der Hietzinger Apotheke ein älterer Mann entgegengekommen sei, dessen Aussehen und Kleidung sie vermuten ließen, dass es sich um einen aus Osteuropa stammenden Roma handelte. Er hatte nicht nur ein auffallendes Äußeres, sondern er segnete auch wie ein Priester die Vorbeigehenden. Meine Freundin schaute ihn an und er führte eine Hand zum Mund, um auszudrücken, dass er hungrig war. Daraufhin beschloss Elisabeth spontan, ihn zum Essen einzuladen und deutete ihm, dass er ihr folgen möge. Als sie mit ihm die Stufen zum Ekazent hinaufgehen wollte, rief plötzlich ein Herr von einem Tchibo-Stehtisch aus, dass der Eingeladene nicht ins Ekazent dürfe. Elisabeth fragte erstaunt, ob er hier der Aufpasser sei, worauf der Mann nickte. Auf die Frage, wer ihm diesen Auftrag gegeben hätte, deutete er mit einer vagen Geste auf den Gebäudeteil neben Tchibo. "Das ist mein Gast und niemand kann mir verbieten, ihn zum Essen einzuladen!" erwiderte meine Freundin nun schon ziemlich aufgebracht. "Trotzdem darf dieser Mann nicht herein!" wiederholte der Sprecher seine Abweisung. Elisabeth zeigte sich davon unbeeindruckt und bestand darauf, dass sie sich von niemandem ihre Gastgeberrolle verbieten lasse. Sie geleitete den Mann zur Imbissstube Radatz, wo er seinen Hunger stillen konnte.

Ich habe nun in vier Geschäften im Ekazent nachgefragt, ob es hier Probleme mit Bettlern gäbe. Die Antwort fiel unterschiedlich aus. In zwei Geschäften sagte man mir, dass ungefähr fünf Männer, die man schon kenne, immer wieder versuchen im Ekazent zu betteln. Das störe Kunden und Geschäftsleute und deshalb schicke man diese Bettler weg. Im dritten Geschäft hatte man von diesem Problem noch nichts bemerkt. Die Verkäuferin des vierten Geschäftes erwiderte, dass es bis vor 1½ Jahren dieses Problem gegeben habe, seither aber Ruhe sei. Aus der Anordnung dieser Geschäfte schloss ich, dass die Kontrolle vorne bewirkt, dass die Bettler gar nicht mehr nach hinten gelangen. Für diese Kontrolle hat der Betreuer des Gebäudes tatsächlich einen inoffiziellen Auftrag, wie Elisabeth bei späteren Recherchen erfuhr.

Wir alle wissen, dass es mit diesen Menschen (oft aus osteuropäischen Ländern), die mit Bussen zum Betteln nach Österreich und anderswohin gebracht werden, Probleme gibt. Denn es bleibt nicht immer beim Betteln, auch trickreiche Diebe (oft zu zweit agierend) sind darunter. Ebenso weiß man, dass diese Menschen einen großen Teil des erbettelten Geldes abliefern müssen, was unsere Bereitschaft zum Geben stark reduziert. Aber rechtfertigt das alles die oben dargestellte Abweisung? Die Antwort lautet eindeutig nein, denn Elisabeth hat das einzig Richtige getan: Sie hat den hungrigen Mann nicht mit Geld versorgt, das ihm vielleicht zum Großteil wieder abgenommen worden wäre, sondern hat ihn zum Essen eingeladen, ihm also etwas gegeben, das ihm niemand mehr wegnehmen konnte.

Bei allem Verständnis für die Geschäftsleute, die eine solche Störung von ihren Kunden fernhalten wollen, muss es doch gestattet sein, dass ein hungriger Bettler von einer Hietzingerin zum Essen eingeladen wird. Wir sollten die Not, unter der Menschen in wachsendem Ausmaß leiden, nicht aus unserem Blickfeld verbannen, sondern hinschauen und auf sinnvolle Weise helfen, wie es Elisabeth spontan und ohne die üblichen Berührungsängste getan hat.


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