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Nach
dem Abriss dieses Gebäudes
in der Hietzinger Hauptstraße 103 darf "Raiffeisen Leasing" gemäß § 69 um 1,5 Meter höher bauen. |
Ein bei Baulöwen und Projektbetreibern aller Art höchst beliebter Paragraf ist
der § 69 der Wiener Bauordnung. Er regelt sogenannte "Unwesentliche Abweichungen
von Bebauungsvorschriften". Das kann z.B. eine Abweichung von der Baufluchtlinie
sein, eine Überschreitung der Bauhöhe, eine Unterbrechung der geschlossenen
Bauweise, eine Überschreitung der bebauten oder auch unterbauten Fläche (z.B.
bei Tiefgaragen unter gärtnerisch auszugestaltenden Flächen), usw. Zwar gilt
dies nur dann, "wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes
nicht entgegensteht", doch ist dies eine sehr weit auslegbare Formulierung,
wie die Praxis zeigt.
In den meisten Fällen sind kleinere Ausnahmen nachvollziehbar, z.B. wenn in
einem dreistöckigen Haus die Bauhöhe um 40 cm überschritten wird, weil dort
alte Menschen und Behinderte wohnen und ein Lift eingebaut wurde, oder in ähnlich
gelagerten Fällen. Doch der § 69 wird auch des Öfteren benutzt, um schlicht
und einfach mehr Profit herauszuholen, wenn ein Bauwerber z.B. ein zusätzliches
Stockwerk, einen Dachgeschossausbau, mehr Tiefgaragenplätze oder mehr Kubatur
"herausschinden" möchte. Es gab schon Hochhausprojekte in Wien, die mittels
"unwesentlicher Abweichung" gleich um 10, 20 Meter höher wurden.
Eine Besonderheit ist auch, dass gemäß § 133 der Wiener Bauordnung die Entscheidung
über Anträge auf Bewilligungen von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften
gemäß § 69 dem Bauausschuss der örtlich zuständigen Bezirksvertretung obliegt
(Zusammensetzung des Bauausschusses in Hietzing: 5 ÖVP, 4 SPÖ, 2 GRÜNE, 1 FPÖ).
Das heißt, auch die PolitikerInnen entscheiden über die von der MA 37 (Baupolizei)
vorgelegten Akte mit. Da die Sitzungen der Ausschüsse nicht öffentlich sind,
ist die Versuchung von ÖVP und SPÖ groß, Überschreitungen zuzustimmen, die über
die in den beschlossenen (oft ohnehin schon großzügigen) Flächenwidmungs- und
Bebauungsplänen enthaltenen Bestimmungen hinausgehen.
Nicht selten sind auch partei-nahe Bauträger beteiligt, der Geschäftsführer
eines im 13. Bezirk äußerst aktiven Bauträgers
ist etwa seit 2004 Finanzreferent der ÖVP Hietzing. Die ÖVP betont denn auch
stets, so z.B. in der Bezirksvertretungssitzung am 6. Dezember 2006, Ausnahmegenehmigungen
seien "ein Rechtsanspruch, den der Bauwerber hat". Dementsprechend "betreiber-freundlich"
fällt auch meistens die Abwägung der Gründe für und gegen die Ausnahme aus.
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Der
Bauplatz in der Ghelengasse 36
(Ober St. Veit) im Winter 2005 |
Die Praxis in Hietzing
Einige Beispiele aus der § 69-Praxis des Hietzinger Bauausschusses:
5. Dezember 2005: Hofer-Supermarkt Versorgungsheimstraße
4, Überschreitung der Baufluchtlinie: Von ÖVP und SPÖ beschlossen.
13. Februar 2006: Bauprojekt Ghelengasse 36
(umstrittene Reihenhausanlage auf der der Wirtschaftskammer gehörenden Liegenschaft
des ehemaligen privaten Pflegeheims Ober St. Veit), Vergrößerung der Tiefgarage:
Von ÖVP und SPÖ beschlossen.
16. Oktober 2006: BUWOG-Anlage Elisabethallee 37/Stranzenberggasse, Überschreitung
der Bauhöhe um 1 Meter wegen eines Dachgeschossausbaus: Von ÖVP und SPÖ beschlossen.
Seit die BUWOG privatisiert ist, weht ein rauerer Wind für die MieterInnen:
Beim besagten Projekt z.B. herrscht Unmut, dass bisherige Gemeinschafts-Stellplätze
nun einfach den zukünftigen zahlungskräftigen Dachgeschoß-BewohnerInnen zugeteilt
werden.
4. Dezember 2006: Wohnbauprojekt an der Stelle des ehemaligen Gasthofs
Spiller (siehe Foto oben), Hietzinger Hauptstraße 103/Ecke Preindlgasse, Überschreitung
der Bauhöhe um 1,5 Meter. Neben ÖVP und SPÖ stimmte auch die FPÖ zu, da sich
der Bauwerber, die "Raiffeisen-Leasing Immobilienmanagement GmbH", bereit erklärt
hatte, einen im Bereich der Hietzinger Hauptstraße geplanten Spielplatz in den
Gartenbereich zu verlegen.
Die Liste solcher Beispiele ließe sich beliebig lang fortsetzen.
An der großzügigen Praxis der Ausnahmegenehmigungen wird sich in Hietzing nur dann etwas ändern, wenn nicht nur das Widmungsverfahren an sich, sondern auch die Problematik des § 69 Wr. Bauordnung von Bürgerinitiativen und AnrainerInnen stärker beachtet wird. Die jüngst entstandene Bürgerinitiative zur Rettung des Invalidenhausparks an der Hochheimgasse ist ein Beispiel dafür, dass dies zunehmend der Fall ist.
Gerhard Jordan
Seite geändert am 28 Januar, 2007 / Home / Kontakt: hietzing@gruene.at, Tel. 4000 / 81 832